Ein Jahr Haus Reichstein – oder: Kann man Altbausanierung wirklich planen?
Monika Güldenberg ist Architektin und beschäftigt sich seit 2013 im Auftrag der SEG mit den Objekten sowie dem Stadterneuerungsprozess entlang der Bochumer Straße. Von ihr stammen die Planungen, nach denen das Haus Reichstein momentan saniert wird. In unserem Interview berichtet sie über den aktuellen Stand der Baustelle, wie sich Planungen im Laufe eines Projekts auch ändern können und worauf Bauherren bei der Planung einer Altbausanierung achtgeben müssen.
Vergleicht man Herbst 2018 mit Herbst 2019 – was hat sich in der Planung verändert?
In der Planung hat sich in der Tat nicht so viel geändert – am Zustand des Hause zum Glück schon. Da hat sich einiges geändert. Abbruch, Rohbau und Zimmererarbeiten sind durchgeführt oder weit vorangeschritten. Bei den Rohbauarbeiten und in der Statik hat sich der Umfang ein wenig verändert. Grundsätzliche Umplanungen waren aber nicht nötig. In manchen Dingen war es sogar einfacher als erwartet.
Was genau war leichter als gedacht? Was hat sich als komplizierter dargestellt?
Die Baustelleneinrichtung und die ganze Logistik sind zum Glück etwas einfacher als anfangs gedacht. Wir haben einen sehr kooperativen Nachbarn, der uns über sein Grundstück Baumaterialien anliefern lässt oder die Zufahrt von Baumaschinen zum Abbruch der Kegelbahn ermöglichte. Das macht das ganze schon einfacher, da das Gebäude in einer geschlossenen Blockzeile steht ohne Durchfahrtmöglichkeit auf das Grundstück. Zudem liegt Haus Reichstein an einer Straße auf der viel Autoverkehr herrscht und eine Straßenbahn im 5 Minuten-Takt fährt, so dass kaum Park- und Gerüstraum vorhanden ist und die Oberleitungen eine Kranaufstellung nicht möglich machen.
Was tatsächlich zu Mehraufwand geführt hat, war, dass einige Stellen des Gebäudes trotz sehr gründlicher Bestandsaufnahme bis Baubeginn nicht einsehbar waren. Den kompletten Zustand der Kellerdecke konnte man erst nach Entfernen der alten Holzdielung einsehen, die wir zunächst haben liegen lassen, um die Erdgeschossfläche so lang wie möglich begehen zu können. Ein anderes Beispiel sind die Sparrenköpfe im Dachbereich, deren Zustand konnte man erst nach Gerüststellung und Demontage der Dachdeckung von außen einsehen. Genau deshalb sind dies die Punkte, die wir unter „Risikogewerk“ zusammenfassen und als anzunehmende Unvorhersehbarkeit vorankündigen.
“Wenn man das Haus Reichstein jetzt betritt, entdeckt man ganz andere Gestaltungsspielräume.”
Angenommen man könnte nochmal zurück in den Sommer 2018 – was würden Sie aus heutiger Sicht anders machen?
Wenn man das Gebäude jetzt betritt und das quasi entkernte Gebäude sieht, merkt man, dass wir schon sehr substanzschonend geplant haben und es eigentlich ganz neue Gestaltungsspielräume gegeben hätte. Die Planung sieht vor, dass Decken und Wände, die sanierungsbedingt abgebrochen werden müssen, 1:1 wiederaufgebaut werden. Natürlich frage ich mich dann, ob man diese Chance nicht nutzen sollte, um die Raumgestaltung noch mehr zu transformieren und zum Beispiel Räume über zwei Etagen zu gestalten oder da, wo früher 2-3 Räume auf einer Etage waren, einen großen Raum zu planen.
Allerdings ist das im Altbau auch nicht immer ganz risikoarm. Gerade mit Blick auf die Statik greift man mit jeder Veränderung am tragenden System, dazu gehören bei Altbauten meist alle Bestandswände und -decken, in ein oft mehr als 100 Jahre altes Gefüge ein. Man hätte hier noch einmal ganz anders planen müssen, was sich auch auf die Kosten ausgewirkt hätte. Auch aus Sicht des Denkmalschutzes wäre das nicht gänzlich unkompliziert geworden. In dem Modellhaus wie wir es zeigen, wollen wir uns schon nah an den Urzustand der Etagengestaltung annähern, denn die Grundrisse der Altbauten weisen auch ihre besonderen Qualitäten auf.
Wie viel Flexibilität ist in der Planung einer Altbausanierung nötig?
Hier muss man zwei Dinge unterscheiden.
Zum einen sollte das Ziel der Planung klar sein und gleichbleiben. Die beabsichtigte Nutzung, Raumaufteilung und Endzustand sollten schon feststehen und nicht flexibel gehandhabt werden.
Der Weg dahin erfordert aber ein hohes Maß an Flexibilität. Zu Beginn der Sanierung arbeitet man mit vielen Vermutungen, die sich im Laufe des Vorhabens entweder bestätigen oder auch nicht. Was dabei wichtig ist, ist ein wacher und erfahrener Bauleiter, der mit diesen Eventualitäten umgehen kann.
Es macht bei einem Altbau nur bedingt Sinn von Beginn an Details bis ins 1:1-Format zu planen. Vielmehr geht es darum, die Ziele der Planung und Details so festzulegen, dass Bauleitung und Handwerker handlungsfähig sind, um mit neuen Erkenntnissen auf der Baustelle umzugehen.
“Die Rahmenbedingungen in einer Altbausanierung sind maximal limitierend.”
In wie fern plant man die Altbausanierung anders als einen Neubau?
Je weniger Rahmenbedingungen ich habe, desto freier bin ich natürlich in meiner Planung.
Beim Neubau auf der grünen Wiese muss ich nur auf den Boden Rücksicht nehmen und kann von da an bis auf baurechtliche und technische Zwänge frei planen und bauen.
Bei einem Neubau auf einem Grundstück in besiedelter Lage, das von anderen Gebäuden umgeben ist, steigt die Anzahl an Rahmenfaktoren. Der städtebauliche Kontext und die Nachbarschaft haben hier zusätzlich Einfluss – die grundsätzlichen Entscheidungen in der Planung sind aber noch sehr flexibel.
Wenn ich aber Bestandsimmobilien saniere, sind die Rahmenbedingungen maximal. Ich muss das ganze Haus erstmal kennenlernen und untersuchen und kann dann entscheiden, mit welchen Elementen und Maßnahmen ich das Vorhandene ergänze, instandsetze und erneuere. Hier muss dann auch nicht nur Aufbau sondern auch der Rückbau betrachtet werden.
Gibt es auch ganz praktische Unterschiede im Vorgehen gegenüber einem Neubau? Den Neubau startet man ja im Keller und baut von da auf.
Beim Altbau ist es eigentlich genau anders herum, insbesondere wenn ich das statische System sanieren muss. Wenn ich tragende Elemente austausche, muss ich darauf achten, dass das Gewicht von oben möglichst minimiert wird. Das heißt, bevor ich Deckenbalken oder tragende Wände anfasse, muss erstmal die Dachlast, sprich die Dachschindeln, entfernt werden und wo möglich Traglast im Gebäude verringert werden.
“Beim Haus Reichstein handelt es sich um einen Intensivpatienten unter den Altbausanierungen.”
Ein Altbau bietet oft Überraschungen – wie kann man am besten vorbeugen?
Man muss sich vor allen Dingen ganz intensiv mit dem konkreten Gebäude auseinandersetzen. Hier bietet zunächst die Hausakte im städtischen Hausaktenarchiv oder das Archiv des Besitzers einen Anhaltspunkt, an dem man im besten Fall alle Ursprungspläne und baulichen Eingriffe nachvollziehen kann. Gerade bei Gründerzeit-Altbauten sind diese Hausakten meist sehr aussagekräftig und die alten Bauzeichnungen sehr detailreich.
Zum anderen ist es wichtig, das Haus auch vor Ort umfangreich zu besichtigen. Dabei sollte, je nach Schadensbild, hinter alle Aufbauten, Verkleidungen, Dielen und Decken geschaut werden. Das Stichwort hier lautet „Entschichtung”. Ein Blick auf die Grundsubstanz des Gebäudes sagt viel aus und bringt Planer und Bauherr weg von Vermutungen hin zu Erkenntnissen. Und somit zu mehr Sicherheit und weniger Überraschungen.
Bei einem Gebäude wie Haus Reichstein handelte es sich in der Tat um einen „Intensivpatienten”, dessen Sanierung für einen privaten Eigentümer wahrscheinlich wirtschaftlich nicht sinnvoll gewesen wäre. Wir haben hier aber die Chance, alle möglichen Teilbereiche einer Altbausanierung darzustellen und Eigentümern näher zu bringen, deren Immobilien oft nur einige wenige der baulichen Probleme vorweisen.
Rechnet man hier mit Aufwandspuffern um auch finanziell nicht überrascht zu werden?
Vor Start der Bauphase definiert man Risikogewerke, Arbeiten, bei denen noch mit deutlichen Planungsabweichungen bei der Ausführung gerechnet werden muss. Das sind in unserem Fall Rohbau und Zimmermannsarbeiten. In diesen Gewerken rechnen wir mit einem Risikopuffer von 20-25%. Wenn diese Gewerke durch sind, kann die Bauleitung einen viel besseren Ausblick auf den weiteren Ablauf und einen möglichen Fertigstellungstermin geben.