EIN AMBITIONIERTES PROJEKT
Geschäftsführerin Helga Sander über die Pläne für die Zukunft von Haus Reichstein
Frau Sander, beim Haus Reichstein standen die Zeichen eigentlich auf Abriss. Sie haben sich für die Rettung stark gemacht. Warum ist eine Sanierung ausgerechnet dieses Gebäudes so wichtig?
Schon das Haus Reichstein an sich hat Charme und Geschichte, die es erhaltenswert machen. Vor allem aber halte ich die zusammenhängende Zeile an Gründerzeithäusern entlang der Bochumer Straße 96 bis 114 für unglaublich ausdrucksstark und wichtig für das Stadtbild in Ückendorf sowie generell in Gelsenkirchen. Da sozusagen einen Zahn herauszuziehen und ein Gebäude abzureißen, wäre städtebaulich einmal mehr katastrophal für die Stadt. Eine Lücke an dieser Stelle zerstört schließlich auch die Atmosphäre der Hinterhöfe der Nachbarhäuser, da mehr Straßenlärm hindurch dringen würde. Und der dritte Punkt: Auch ein Neubau wäre hier ebenso teuer oder sogar teurer geworden.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen bei den Baumaßnahmen?
Haus Reichstein hat definitiv einige Problemstellen, insbesondere was Feuchtigkeitsschäden an Holzkonstruktionen und Pilzbefall anbelangt. Zudem erproben wir ja während des gesamten Sanierungsprozesses neue bauliche Methoden, mit denen sich alle Beteiligten auch erst mal vertraut machen müssen. Eine weitere Hürde wird dann sicherlich sein, pragmatische Baulösungen in Absprache mit dem Denkmalschutz zu finden, unter dem das Haus Reichstein komplett steht.
Aber wir scheuen nichts, damit andere Eigentümer von Gründerzeithäusern davon lernen können und ihnen die Angst vor Sanierungen genommen wird. Diese Transparenz ist bei dem Projekt ja eines unserer Hauptanliegen und da gehört es dazu, sich allen Herausforderungen zu stellen und sie zu kommunizieren.
Sanierungsbedürftige Gründerzeithäuser gibt es entlang der Bochumer Straße einige. Seit ein paar Jahren kauft die Stadterneuerungsgesellschaft Gelsenkirchen (SEG) diese Bausubstanz auf, saniert sie und führt den Häusern neuen Nutzungen zu. Welche konkreten Wünsche haben Sie für das Haus Reichstein in Zukunft?
Ich möchte gerne an die Geschichte des Gebäudes anknüpfen. Unten im Haus Reichstein befand sich jahrzehntelang eine Stehbierhalle – eine der beliebtesten Kneipen in Gelsenkirchen damals. Dementsprechend könnte ich mir eine gastronomische Nutzung nach der Wiederbelebung des Hauses vorstellen. Darauf reagieren wir bei der Sanierung auch schon, sprich die Struktur der Räumlichkeiten im Erdgeschoss bietet sich im Anschluss für Gastronomie an. Und eine solche Nutzung passt auch zur geplanten Gesamtentwicklung des Quartiers Bochumer Straße, wo ja eine „Gastro-Meile“ angestrebt ist. Bei den Räumlichkeiten oben denke ich an Wohnungen oder Büros, wenn sie denn verträglich mit einer Gastronomie sind.
Allgemein waren die letzten Jahre im Quartier Ückendorf geprägt von Leerstand und Verfall. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?
Es geht aufwärts. Das kann man erkennen. Und das liegt speziell daran, dass die SEG in die Lage versetzt wurde, Immobilien zu kaufen. Wir sind hier nicht mehr auf Eigentümer angewiesen, die entweder nicht Willens oder nicht in der Lage sind, sich an der Entwicklung im Quartier zu beteiligen. Wir haben das Heft des Handelns jetzt selbst in der Hand. Mit den Geldern, die uns seit anderthalb Jahren zur Verfügung stehen, konnten wir unter anderem bereits günstigen Wohnraum für Studenten sanieren, der uns quasi aus den Händen gerissen wird. Wir haben mittlerweile circa 50 Studierende im Quartier wohnen, die sich am Leben, an Projekten und der Entwicklung hier beteiligen. So sorgen wir auch für eine bessere soziale Durchmischung – ohne Verdrängung anderer. Das belegt, wir sind auf dem richtigen Weg und müssen diesen stringent weitergehen.
Warum heißt es eigentlich Haus Reichstein? Kennen Sie die genaue Geschichte?
Der ursprüngliche Eigentümer hieß so. Die ehemalige Gaststätte wurde auch nach ihm benannt. Wir haben vor Kurzem auch einen seiner Enkel ausfindig gemacht – Herr Eugen Reichstein – der noch in Gelsenkirchen lebt. Ihn haben wir eingeladen, uns bei der Sanierung zu begleiten, ob mit Anekdoten oder Materialien zur Geschichte des Hauses. Vielleicht wird er alle noch über das ein oder andere Detail aufklären.