Mit Leidenschaft im Denkmalschutz
20.09.2024
Um den Denkmalschutz ranken sich viele Mythen und falsche Annahmen. Wegen dieser Mythen zögern viele Menschen beim Kauf eines denkmalgeschützten Gebäudes. Die Fokus-Session “Oh Schreck, Denkmalschutz?!” versammelte im Haus Reichstein drei Expert:innen aus den Bereichen Handwerk, Denkmalbehörde und Bauplanung. Gemeinsam blickten sie kritisch auf diese Mythen. Ihr Fazit: Im Vergleich zum Neubau ist eine denkmalgeschützte Immobilie aufwändiger, aber am Ende lohnt sich der Mehraufwand immer.
Restaurator Harald Lemmler erklärte in seinem Impuls-Vortrag, wie er konkret bei seiner Arbeit vorgeht. Er erzählte, wie er eine der Innendecken des Wohlfahrtshauses der Gutehoffnungshütte in Oberhausen in ihren Originalzustand versetzte.
Zum Einstieg gab der Restaurator Harald Lemmler in seinem Vortrag einen Einblick in die Arbeit im Denkmalschutz. Dabei machte der Maler aus Essen deutlich, dass nicht nur handwerkliches Geschick, sondern vor allem auch detektivisches Gespür eine wichtige Eigenschaft des Restaurators ist. Vor wenigen Jahren wurde er nach Oberhausen gerufen. Dort sollte er die Decke in der Mittelhalle des Wohlfahrtshauses der Gutehoffnungshütte restaurieren, von der immer häufiger Teile der Stuckatur abbrachen. Die Stadt Oberhausen äußerte den Wunsch, dass die mehrfach überstrichene Decke wieder in ihren Ursprungszustand – der sogenannten Erstfassung – nach den Plänen des berühmten Jugendstilarchitekten Bruno Möhring (1863-1929) zurückversetzt werden soll.
Damit stellte sich für Harald Lemmler die erste große Frage: Wie sah die Decke, die im Laufe der Jahrzehnte einige Male überstrichen wurde, in ihrem Originalzustand (der sogenannten Erstfassung) aus? Nach der Antwort suchte der Restaurator zuerst in Bildarchiven. Dort fand er einige Fotos von der Erstfassung. Diese übergab er an eine Expertenkommission, die daraus die ursprünglichen Deckenornamente rekonstruieren konnte. Parallel ging er selbst ins Gebäude und suchte unter den neuen Farbschichten nach Spuren der Erstfassung. Und tatsächlich legte er vereinzelte Stücke frei, z.B. Teile eines Blumenkranzes. Von allen Funden protokollierte er die Farben und übergab sie der Denkmalbehörde.
Nach dem Vortrag diskutierten Harald Lemmler (l.), die Architektin Monika Güldenberg (Mitte) und Isabella Bailly (r.) von der Unteren Denkmalschutzbehörde Gelsenkirchen über den Denkmalschutz.
Ihr wollt mehr zum Thema Denkmalschutz erfahren?
Dann schaut in unsere Videobautagebücher zur Sanierung der Hausfassade und der Fensterrestauration. Alle Videos findet ihr hier im Blog oder auf YouTube!
Auf diese Weise konnte Harald Lemmler die Erstfassung der Decke rekonstruieren. Dabei verwendete er die gleiche Art Ölfarben wie die Maler vor über 100 Jahren. “Der Vorteil daran ist, dass diese Farben sehr langlebig sind und auch wieder 100 Jahre halten werden”, erklärte der Maler. “Für Gemeinden sind gerade Langlebigkeit und Nachhaltigkeit wichtige Aspekte.” Auf das Ergebnis ist Harald Lemmler stolz: “Die Authentizität ist gegeben, und ein Stück Geschichte ist wieder sichtbar.” Er betonte noch einmal, wie wichtig ihm dieser Aspekt Arbeit ist. (Den Vortrag von Harald Lemmler findet ihr in Kürze auf unserem YouTube-Kanal und hier im Blog.)
Nach dem Vortrag kamen Isabella Bailly (Untere Denkmalschutzbehörde Gelsenkirchen) und die Architektin Monika Güldenberg mit auf die Bühne. Schnell wurde klar, dass die Faszination für den Denkmalschutz bei ihnen den gleichen Ursprung hat wie bei Harald Lemmler: Denkmalpflege bedeutet, Geschichte zu bewahren und zu erhalten. Aber woher wissen Eigentümer:innen, ob ihre Immobilie unter Denkmalschutz steht? “Das erfährt man idealerweise direkt beim Erwerb der Immobilie. Im Zweifel kann man aber auch jederzeit das Denkmalamt kontaktieren”, erläuterte die Architektin. Im Denkmalamt sind alle Denkmäler verzeichnet, zu jedem existiert eine Akte. “In der erfährt man auch, welcher Teil oder welche Teile konkret unter Denkmalschutz stehen”, so Güldenberg.
Isabella Bailly betonte aber auch noch einmal, dass gerade mal 1,5% der Gebäude in Nordrhein-Westfalen unter Denkmalschutz stehen. “Die Wahrscheinlichkeit, versehentlich eines zu erwerben, ist also sehr gering”, ergänzte sie mit einem Augenzwinkern. Aber selbst wenn, ist der Besitz einer denkmalgeschützten Immobilie kein Grund zur Panik: “Eine denkmalgeschützte Immobilie ist wegen der höheren Auflagen zwar mehr Arbeit. Aber wir als Denkmalbehörde stehen jederzeit beratend zur Seite – und das kostenlos”, so Bailly.
Isabella Bailly (Untere Denkmalschutzbehörde Gelsenkirchen) betonte, dass der Denkmalschutz immer mit Auflagen verbunden sei. Aber die Behörde stehe immer beratend zur Seite.
Alle drei Teilnehmenden bestätigten aus ihren eigenen Erfahrungen, dass Denkmalschutz immer eine Teamaufgabe ist. Und Handwerk, Denkmalbehörde und Bauplanung ziehen aus ihrer Erfahrung immer an einem Strang. Am wichtigsten ist aber, dass auch die Besitzer:innen bei einem Restaurierungsvorhaben mitziehen: “Denkmalschutz ist ein Wert, wenn man ihn aber nur als Mangel oder Pflicht empfindet, entsteht schnell Frust. Dann ist es vielleicht nicht die richtige Immobilie”, erklärte Monika Güldenberg. Auch Isabella Bailly betonte, dass nicht immer alle Wünsche der Nutzer:innen in einem denkmalgeschützten Gebäude umsetzbar sind: “In dem Fall sollte man überlegen, ob man die Immobilie nicht lieber an jemanden verkauft, der mehr Enthusiasmus für den Denkmalschutz hat.”
Harald Lemmler machte zum Abschluss erneut deutlich, dass der Aufwand für die Besitzer:innen am Ende entschädigt wird: “Im Baudenkmal zu leben ist etwas besonderes, denn das Haus hat Geschichte. Die Besitzer merken das häufig, wenn sie zum ersten Mal Besuch empfangen. Der ist dann richtig gefangen von der Atmosphäre.” Isabella Bailly hat in ihrer Arbeit sehr oft beobachtet, wie die anfängliche Skepsis verschwindet: “Wenn die ersten Hürden genommen sind, sind die meisten Bauherren begeistert. Dann beginnen sie selbst aktiv zu werden, Optionen auszuloten. Zu erleben, wie das Fieber für den Denkmalschutz erwacht, ist immer ein schöner Moment.”